Psychische Gesundheit: Sozialversicherung legt Strategie vor

Krankheit verhindern – Versorgung verbessern – Invalidität verringern

Wien (OTS) – Die im Jahr 2011 von der österreichischen Sozialversicherung vorgelegte Ist-Analyse Psychische Gesundheit zeigte auf: 900.000 Österreicher nehmen wegen psychischer Diagnosen jährlich das Gesundheitssystem in Anspruch – mit steigender Tendenz und jährlichen Kosten von rund 800 Millionen Euro. Die Obleutekonferenz der österreichischen Sozialversicherungsträger hat eine Strategie beschlossen, deren Motto „Krankheit verhindern – Versorgung verbessern – Invalidität verringern“ die Stoßrichtung vorgibt: Präventive Ansätze, die den Anstieg der psychischen Erkrankungen eindämmen, müssen entwickelt werden. Die Betroffenen brauchen besser abgestimmte Versorgungsangebote. Durch verbesserte Kooperationen zwischen Pensions- und Krankenversicherung sollen Invaliditätspensionen reduziert werden. Die aktualisierten Zahlen zur Ist-Analyse Psychische Gesundheit belegen die Dringlichkeit des vorgelegten Handlungskonzepts: Die Krankenstände wegen psychischer Diagnosen sind erneut von 2009 auf 2010 um 12 Prozent gestiegen, während die körperlichen Krankenstände stagnierten. Ungebrochen ist auch der weitere Anstieg des Anteils der neu zuerkannten Invaliditäts- bzw Berufsunfähigkeits-Pensionen aus psychischen Gründen. Bereits fast 36 % der Neuzugänge zur Berufsunfähigkeitspension gehen auf das Konto psychischer Diagnosen. Weiter überproportional angestiegen ist auch die Verschreibung von Psychopharmaka im Vergleich zu Medikamenten insgesamt. Die Anzahl der Verordnungen wuchs um 5,74 Prozent, während die Verordnungen insgesamt praktisch gleich blieben.

Strategie Psychische Gesundheit
Die Zahlen zeigen jedenfalls neuerlich, wie wichtig es ist, dass die Sozialversicherung aus dem Analysebericht Handlungsperspektiven entwickelt hat, die als von der Trägerkonferenz als oberstem Gremium der österreichischen Sozialversicherung beschlossenes Strategiepapier vorliegt. Die Strategie legt die Tätigkeitsschwerpunkte für die nächsten Jahre fest und umfasst die drei Bereiche Prävention, Versorgung und Frühpension.

Psychische Gesundheit gezielt fördern
Psychische Gesundheit kann wie alle anderen Gesundheitsbereiche auch mit gezielten Maßnahmen gefördert werden. Die Sozialversicherung wird in ihrem Bereich Gesundheitsförderungsmaßnahmen ausbauen, damit Menschen eigenständig lebens- und arbeitsfähig bleiben können. Gesundheitsförderung muss dort stattfinden, wo sich Menschen einen Großteil ihres Tages aufhalten. Das sind für sehr viele Menschen Schule und Arbeits-platz. So genannte „setting-orientierte Ansätze“, die dort anknüpfen, müssen ausgebaut werden, um zum einen die Lebensumwelt gesundheitsfreundlicher zu gestalten, zum anderen um die Lebens-Kompetenzen der Menschen zu stärken. Ein zentraler Schwerpunkt ist aus Sicht der Sozialversicherung die Gruppe der Kinder und Jugendlichen. In der Kindheit wird der Grundstein für die künftige Gesundheit gelegt. Neben menschlichem Leid können so auch künftige Folgekosten vermieden werden. Unterstützung für Eltern und Familien – z.B. durch frühe Hilfen – muss ebenso Teil der psychischen Gesundheitsförderung für Kinder sein wie eine Betreuungs- und Unterrichtsgestaltung in Kindergärten, Schulen und Horten, die beiträgt, dass sich Kinder ohne Angst und krankmachenden Stress entwickeln können.

Die Verantwortung für eine umfassende Gesundheitsförderung liegt allerdings nicht im Gesundheitssystem allein. Verantwortlich sind alle Lebensbereiche, in denen sich Menschen aufhalten. Die Sozialversicherung wird einen aktiven Dialog mit anderen politischen Verantwortungsbereichen aufbauen.

Versorgung verbessern
Die Ist-Analyse zur psychischen Gesundheit zeigte, dass rund 900.000 Österreicher von psychischen Problemen betroffen sind. Die Versorgung der Erkrankten liegt zu einem großen Teil bei den niedergelassenen AllgemeinmedizinerInnen, diese haben eine wichtige Steuerungsfunktion im Gesundheitswesen. Gerade psychisch erkrankte Menschen brauchen viel Information und Beratung hinsichtlich ihrer medizinischen oder therapeutischen Versorgung und psychosozialen Betreuung. Ziel ist es, dass die AllgemeinmedizinerInnen für jene psychisch Erkrankten, die keiner dauerhaften Behandlung durch einen Psychiater oder einen psychosozialen Dienst bedürfen, eine wichtige Koordinierungs- und Vermittlungsfunktion ausüben. Die Kompetenz der Allgemeinmediziner bei der Behandlung psychisch erkrankter PatientInnen muss gestärkt und damit ihre zentrale Rolle in der Versorgung psychisch Erkrankter gefestigt werden. Daher sollte bereits im Studium und in der Turnus-Ausbildung ein stärkerer Fokus auf die Behandlung psychisch erkrankter Patienten gelegt werden. Es sollen die Weiterbildungen in „psychosozialer, psychosomatischer und psychotherapeutischer Medizin“ stärker forciert werden. Zusätzlich sollte verpflichtende Weiterbildung im Bereich psychischer Gesundheit vorgesehen werden.

In der Strategie bekennt sich die Sozialversicherung dazu, dass jene Versicherten, die eine Psychotherapie wirklich benötigen, jedenfalls einen niederschwelligen Zugang zu einer effizienten und qualitativ hochwertigen Versorgung haben sollen. Wartezeiten sollen weiter verringert bzw bei Kindern gänzlich vermieden werden, um nicht Entwicklungsfenster zu versäumen. Dazu soll einerseits die Sachleistung („Psychotherapie auf Krankenschein“) ausgebaut werden, angesichts beschränkter finanzieller Mittel gerade in der Phase der Kassenkonsolidierung muss aber auch die Zuteilung der Sachleistungsplätze entsprechend dem Bedarf und der Situation des Erkrankten gezielter gesteuert werden. Die Niederschwelligkeit des Angebots soll auch dadurch gewährleistet werden, dass den Versicherten eine zentrale Anlauf- und Informationsstelle für Psychotherapie zur Verfügung steht.

Das Bekenntnis zum weiteren Ausbau des Psychotherapieangebots manifestiert sich schon in den Zahlen der letzten Jahre. Von 2000 bis 2011 sind die Ausgaben der sozialen Krankenversicherung für Psychotherapie von 28,71 Mio. Euro auf 67,25 Mio.Euro angewachsen. Im Jahr 2011, in dem der Analysebericht zur Psychischen Gesundheit vorgestellt wurde, stiegen die Ausgaben damit um 4,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Sozialversicherung gibt damit übrigens bereits deutlich mehr aus als ihr vom Gesetzgeber in Form einer Beitragserhöhung bei Einführung der Psychotherapie (und der klinisch-psychologischen Diagnostik) zur Finanzierung der Psycholeistungen zur Verfügung gestellt worden ist. Daher will die Sozialversicherung auch Gespräche mit der Bundesregierung über zusätzliche finanzielle Mittel zur Finanzierung der Psychotherapie aufnehmen.

Invalidität verringern
Fast 36 Prozent der Neuzuerkennungen von Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspensionen 2011 sind auf Psychiatrische Erkrankungen zurückzuführen. Soll die Rate der Zuerkennungen in die Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension aus psychiatrischen Krankheiten verringert werden, muss bereits vorher und rechtzeitig mit geeigneten Maßnahmen angesetzt werden. Wenn der Antrag auf Berufsunfähigkeits- bzw. Invaliditätspension gestellt wird, ist die Re-Integration in den Arbeitsprozess ungleich schwieriger. Mit dem intensiven Ausbau der psychiatrischen Rehabilitation in den letzten 2 Jahren – sowohl stationär als auch ambulant – setzt die Österreichische Pensionsversicherung verstärkt bei jenen Menschen an, die noch im Erwerbsleben stehen. Kooperationen zwischen Kranken- und Pensionsversicherung und dem Arbeitsmarktservice müssen rechtzeitige Hilfestellungen für diese Personen anbieten. Das Projekt „fit2work“ kann dabei als erster richtungsweisender Ansatz gesehen werden. Sehr beachtenswert ist in diesem Zusammenhang ein Ergebnis der Regierungsklausur vom 9. November 2012: fit2work erhält ein jährliches Sonderbudget von 2 Mio Euro für spezifische Maßnahmen für Menschen, die aus psychischen Gründen aus dem Arbeitsleben zu fallen drohen.

Strategie: Rasche Verbesserungen für Psychisch Erkrankte
Die vorliegende Strategie „Psychische Gesundheit fördern – Psychisch Erkrankte optimal versorgen“ wurde von der Trägerkonferenz, dem höchsten Organ der Österreichischen Sozialversicherung beschlossen. Sie ist damit integraler Bestandteil der strategischen Ausrichtung aller Sozialversicherungsträger und wird von diesen gemeinsam mit dem Hauptverband umgesetzt werden. Die Schwerpunkte sind klar: Präventionsprojekte, die im Lebensumfeld der Menschen ansetzen bzw. für besonders anfällige Gruppen maßgeschneidert sind, sollen beitragen, dass weniger Menschen erkranken.

In der Versorgung geht es um eine Stärkung der Kompetenzen der AllgemeinmedizinerInnen – sie tragen die Hauptlast in der Versorgung, um eine Qualitätssicherung in der Medikation und um einen kontinuierlichen weiteren Ausbau der Psychotherapie. Integrierte Versorgungsangebote für schwer Kranke an den Schnittstellen zwischen Spitälern und niedergelassenen Bereich müssen in den Ländern ausgebaut werden.

Um Frühpensionen zu verringern, muss rechtzeitig angesetzt und nicht gewartet werden, bis der Pensionsantrag gestellt ist. Das Projekt fit2work ist ein richtungsweisender Ansatz, der ab 2013 in allen Bundesländern umgesetzt wird.

(APA)